Interview mit Herrn Boddenberg geführt von T. Marx, veröffentlich 25.12.2016
Guten Tag Herr Boddenberg, vielen Dank dass Sie sich Zeit für uns genommen haben!
T: Was war Ihr erster Eindruck vom Ritze?
Herr Boddenberg: Bevor ich hierher kam, habe ich vom Ritzefeld-Gymnasium überhaupt nichts gewusst. Als ich hierhin kam, da führte mich zuerst einmal Herr Kiel durch das Gebäude und da war ich sehr erstaunt, dass es doch einen großen Unterschied gibt zu einer Großstadtschule. Dieses Gebäude ist, auch wenn es manche vielleicht nicht glauben, top ausgestattet, ist in Top-Zustand und man sieht, dass die Stadt Stolberg Einiges in die Schulen investiert. Das hat mich erst einmal sehr angenehm überrascht. Und als ich dann die Kolleginnen und Kollegen kennenlernte, da habe ich mich sofort hier aufgehoben gefühlt, man hat mich mit offenen Armen empfangen, hat mir den Einstieg unglaublich leicht gemacht. Was ich dann erlebt habe war ein Kollegium, das sehr sehr engagiert ist. Es gibt hier viele Lehrer, die etwas bewegen möchten, denen man eigentlich nur die Unterstützung und den Raum geben muss, damit sie das tun können. Darüber bin ich sehr glücklich, denn wenn man als Schulleiter alles erst immer anschieben muss und die Leute aktivieren muss, dann ist das ein mühsames Geschäft. Hier ist es genau umgekehrt, hier ist die Bereitschaft da, hier ist der Wille da und als Schulleiter hat man es da sehr einfach. Ansonsten ist es natürlich ein krasser Umschwung von Kenia zu einer Innenstadtschule zu kommen, das ist klar.
T: Für viele Schüler wäre es mit Sicherheit interessant, zu erfahren, was Sie in Ihrer Zeit als Schulleiter an der deutschen Schule in Kenia gemacht haben. Könnten Sie ein wenig darüber erzählen?
Herr Boddenberg: Ich war in Kenia Schulleiter der Deutschen Schule in Nairobi und es war zunächst einmal eine große Umstellung, denn deutsche Auslandsschulen haben oft einen Kindergarten und eine Grundschule auf dem Compound und wenn man da Schulleiter ist, ist man tatsächlich der Chef von allen. Man hat dann zwar eine eigene Grundschulleitung und eine Kindergartenleitung, aber der letzte Verantwortliche ist man dann tatsächlich selbst. Es war ein tolles Erlebnis, wirklich zu sehen, wie die Kleinen von zwei Jahren an bis zum Abitur ihren Weg machen. Ich fand es toll, dass man auch den direkten Kontakt zu den Jüngeren hat, zur Grundschule, die dann auf die weiterführende Schule abgibt. Der Weg von der Grundschule zur Sekundarschule war 20, 30 m weit. Alle Lehrer waren in einem Lehrerzimmer, auf einem Compound.
Dann gab es einen großen Unterschied im Gelände, es gibt dort ein sehr weitläufiges Gelände mit Basketballplatz, mit Fußballplatz, mit Tennisplätzen, mit Beachvolleyballplatz, mit einem 25 m-Pool. Das Klima ist dort auch toll; es gibt keinen Tag, an dem nichts blüht, wenn man über den Compound geht und das ist schon eine tolle Sache. Die Schule war und ist relativ klein im Gegensatz zu deutschen Schulen, wir hatten zu meiner Zeit ca. 180 Schüler in Grundschule und Sekundarstufe und nochmal etwa 116 Kinder im Kindergarten. Mittlerweile ist die Schule in diesem Jahr bei über 200 Schülern und das war auch mein Ziel, als ich anfing, die Schule über 200 Schüler zu bringen.
T: Was für Schüler sind an der Schule?
Herr Boddenberg: Das ist interessant, es sind Schüler aus über 20 Nationen, bei 180 ist das viel. Wir haben natürlich deutsche Kinder und kenianische Kinder dort, wir haben aber auch internationale Besetzung aus aller Herren Länder – Bulgarien, Italien, Russland – Kinder, die zum Beispiel mit ihren Eltern, die bei der UN, bei der Presse oder in großen Firmen arbeiten und nach Kenia versetzt worden sind. Es gibt auch international ein hohes Interesse an der deutschen Ausbildung.
T: Lernen die Schüler alle Deutsch?
Herr Boddenberg: Die Unterrichtssprache ist Deutsch, mit zwei Ausnahmen: es gibt Geschichte bilingual ab der Klasse 9 und Erdkunde komplett fremdsprachlich, also auf Englisch, ab der Klasse 8. An der deutschen Schule macht man das Deutsche Internationale Abitur. Dort sind, wenn man will, fremdsprachliche Anteile dabei. Man kann zwar auch komplett auf Deutsch das Abitur ablegen, das passiert aber praktisch nie. In der Grundschule gibt es auch bilinguale Aspekte, aber im Grunde genommen ist die Unterrichtssprache Deutsch.
T: Wie lange waren Sie in Kenia?
Herr Boddenberg: Ich war vier Jahre dort, von 2012 bis 2016.
T: Waren Sie alleine oder mit Ihrer Familie dort?
Herr Boddenberg: Ich war mit meiner Frau dort. Unsere Kinder sind alle groß, zwei von ihnen haben eigene Familien – wir haben mittlerweile vier Enkelkinder –, die waren alle hier in Deutschland.
T: Woher kamen die Lehrer, waren das alle Deutsche?
Herr Boddenberg: Fast alle, ja. Wir hatten einige wenige kenianische Kollegen, die aber schon so lange an der Schule arbeiten, dass sie mit dem deutschen Curriculum komplett vertraut sind. Die anderen Lehrer sind aus Deutschland. Entweder sind sie Entsandte von Deutschland, dann werden sie auch von Deutschland bezahlt, oder sie sind von uns angeworben und werden dann von der Schule bezahlt. Aber alle Lehrer, die dort arbeiten, haben ein normales zweites deutsches Staatsexamen, sind also fertige Lehrer, die könnten an jeder deutschen Schule auch arbeiten.
T: Was war Ihre Motivation, dorthin zu gehen?
Herr Boddenberg: Es gab zwei Motivationen. Die erste war, dass ich die letzten sieben Jahre meiner Berufstätigkeit vor mir hatte und mich gefragt habe, ob ich lieber in Köln als Schulleiter bleibe -das hätte auch gut funktioniert, die Schule lief gut-, oder ob ich mir für diese letzten Jahre nochmal etwas Neues vornehme. Ich bin ein neugieriger Mensch, und etwas, das ich überhaupt nicht kannte, war das Auslandsschulwesen. Wenn man mich vor 15 Jahren gefragt hätte „Willst Du ins Ausland gehen?“, hätte ich gesagt „Warum sollte ich dahin gehen, es gibt überhaupt keinen Grund.“. Es hat mich dann aber doch gereizt.  Der zweite Grund war, dass ich gedacht habe, dass man sein Leben eigentlich nicht in 50km Umkreis um seinen Geburtsort verbringen kann, sondern man muss auch mal ein bisschen was gesehen haben. Nun hatte ich vorher schon viele Fernreisen gemacht, aber das ist ja etwas völlig anderes, in einem Land zu arbeiten, oder es als Tourist zu besuchen.
T: Haben Sie besondere Erfahrungen, die Sie teilen möchten?
Herr Boddenberg: Es gibt punktuelle Erfahrungen und es gibt generelle Erfahrungen. Eine punktuelle, ganz nachhaltige und erschütternde Erfahrung war der Angriff auf die Shopping Mall Westgate 2013, den wir live und in Farbe mitbekommen haben. Ich hatte da einen ganz großen Schutzengel, meine Frau auch. Wir waren eine Stunde zuvor noch im Westgate drin und haben die Terroristen, wenn man so will, knapp verpasst. Aber es gab Etliche von der Deutschen Schule -Mitarbeiter, auch Kinder-, die drin waren und Gott sei Dank wenigstens körperlich alle unverletzt rausgekommen sind.
Es gibt aber auch generelle Erfahrungen; man spürt schon diesen krassen Zusammenprall von Armut und Reichtum, auch bei den Kenianern selber. Es gibt unglaublich reiche Kenianer und es gibt unglaublich viele sehr Arme und ich habe die Leute immer bewundert, wie sie mit zwei, drei Jobs ihre Familien über Wasser halten und ihre Kinder noch zur Schule schicken.
Ich habe Erfahrungen gemacht in der Kooperation mit einer Slum-Schule, unter welchen Bedingungen die arbeiten und wenn man das über die Jahre verfolgt, dann wird man sehr bescheiden über die Klagen, die manchmal in Deutschland entstehen, über den Zustand von Schulen oder andere Dinge, die nicht funktionieren.
Es gibt eine nachhaltige Erfahrung in der Eingeschränktheit des Lebens –man kann sich eben nicht unbedingt sehr frei bewegen, sondern man lebt schon hinter geschlossenen Türen, man muss Vorsichtsmaßnahmen beachten. Man fährt halt nicht mit heruntergelassenen Scheiben mit dem Auto durch die Gegend. Man verschließt die Autotüren, wenn man fährt, man fährt möglichst nicht im Dunkeln, weil das doch immer ein mulmiges Gefühl ist.
Es gibt sehr viel mehr zu erzählen; natürlich habe ich auch sehr nachhaltige Erfahrungen im Land gemacht, mit Landschaft, mit Tieren, mit schönen Zielen, die man dort bereisen kann.
T: Wie ist das Schulwesen dort allgemein aufgebaut?
Herr Boddenberg: Kenia ist ursprünglich eine englische Kolonie gewesen und das Schulwesen orientiert sich innerkenianisch sehr am englischen Vorbild. Durch den Zustrom durch die Firmen, die United Nations oder die Botschafter haben sich aber auch viele andere Nationen mit Schulen in Nairobi etabliert. Es gibt die großen englischen und amerikanischen Schulen, die sogenannten IB-Schulen, die zum International Baccalaureate führen, es gibt dann aber auch die kleineren Internationalen Schulen wie die Deutsche. Die Niederländer, die Norweger, die Schweden, die Japaner, die Franzosen, wahrscheinlich noch mehr, die ich jetzt vergessen habe, auch die haben sich in Nairobi etabliert und auch die haben aus ihren Ländern genügend Schüler, dass sie dort eine Schule aufmachen können.
T:Wie werden die Deutschen in Kenia gesehen? Gibt es ein Bild von den Deutschen, das besonders geprägt ist?
Herr Boddenberg: Die Deutschen sind in Kenia in der Regel hochwillkommen und man hat ein sehr gutes Verhältnis zu Deutschland. Ich habe das an verschiedensten Stellen, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der University of Nairobi erfahren, dass mir dort gesagt wurde „Sie brauchen jetzt da nichts mehr groß zu tun, die Beziehungen zwischen Deutschland und Kenia sind doch schon völlig in Ordnung, sind prima!“. Das zeigt sich auch immer, wenn am 3. Oktober in der Residenz des Botschafters eine Feier gemacht wird, da werden auch kenianische Politiker eingeladen, die dann betonen, wie gut die Zusammenarbeit mit den Deutschen ist. Das ist nicht international mit allen Ländern so. Es gibt schon gewisse Friktionen zwischen den USA und Kenia, zwischen den Briten und Kenia. Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Briten nach den Anschlägen, nach den letzten in Garissa, sofort eine Reisewarnung ausgesprochen haben und den Tourismusbereich in Kenia sehr geschädigt haben. Die Briten sind eine der größten Touristengruppen, die dort das Land bereisen. Insgesamt ist der Tourismus dort nach den Terroranschlägen um ca. 80% eingebrochen, er ist aber der zweitwichtigste Wirtschaftssektor und man kann sich schon vorstellen, dass das Land sehr darunter leidet. Wie gesagt, die Beziehungen zu Deutschland sind sehr gut und auch sehr stabil.
T: Gibt es etwas, das sie besonders an Ihrer Zeit in Kenia vermissen?
Herr Boddenberg: Ich vermisse das Klima, das tolle Schulgelände, die Arbeit an einer Privatschule, die einem wesentlich mehr Möglichkeiten bietet als an einer deutschen Regelschule. Ich vermisse unser Haus mit 5000m2 Park dahinter. Die Vegetation, die tollen Ziele, die man bereisen kann. Wann kriegt man schon einmal die Gelegenheit, die Berggorillas in Ruanda zu besuchen, wo wir waren? Das sind Sachen, die von hier aus mit einem sehr hohen Aufwand verbunden sind, das vermisse ich schon.
T: Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Herr Boddenberg: Welche Freizeit? (lacht)
Wie würden Sie Ihre Freizeit verbringen, wenn Sie freie Zeit hätten?
Herr Boddenberg: Ich mache sehr gerne Musik, setze mich zu Hause ganz gerne mal ans Klavier und spiele etwas. Ich bin ein großer Fan von Hörbüchern geworden. Früher habe ich sehr viel gelesen, jetzt bin ich bequem geworden und lasse mir das vorlesen. Was ich bisher in Aachen noch nicht geschafft habe: ich fahre sehr gerne Rad. Es stehen noch immer die Räder im Keller, unbenutzt, und ich hoffe, dass ich sie bald mal aktivieren kann. Das sind so drei große Dinge. Ansonsten freuen wir uns aufs kulturelle Leben hier in Aachen, es ist alles sehr nah beieinander. Ich habe das schon vor vierzig Jahren als Student erlebt und konnte dort schon alles zu Fuß erledigen. Darauf freuen wir uns  – Theater, Kunst, Musik –, da schauen wir mal, was Aachen uns so zu bieten hat.
T: Was sind Ihre Ziele als Schulleiter?
Herr Boddenberg: Meine Aufgabe ist sehr klar definiert, alle wissen, ich bin nur ein Jahr hier, danach gehe ich in den Ruhestand. Das heißt, ich bin in der Funktion eines Vorbereiters für meine Nachfolge und habe die Aufgabe, Entwicklungsbedarf zu erkennen und gewisse Weichenstellungen vorzubereiten oder – im Idealfall – sogar durchzuführen in diesem Jahr. Meine Aufgabe ist sicherlich, eine ruhige und vertrauensvolle Atmosphäre hier zu erhalten. Ich habe nicht die Aufgabe, dass ich mittelfristig auf fünf Jahre plane, sondern vorbereite. Und das werde ich mit aller Kraft tun!