Im Staat des unmöglichen Wetters Ein Erfahrungsbericht
Dass Michigan als der Staat der USA gilt, in dem das Wetter nicht nur extrem schlecht (im Sommer herrscht durch die Nähe zum Lake Michigan und zum Lake Huron eine unglaubliche Luftfeuchtigkeit, im Winter fallen mitunter einige Meter Schnee), sondern auch absolut unbeständig ist, das wusste ich nicht, als ich mich im Sommer 2010 für ein Auslandsjahr bei der Organisation YFU bewarb. Genau genommen wusste ich viele Dinge noch nicht: dass ich tatsächlich einen Platz bekommen und ein Jahr später im Flugzeug nach Detroit sitzen würde zum Beispiel. Ich hatte keine Ahnung von all den Dingen, die ich erlebe und all den Menschen die ich treffen würde. Aber schon damals wusste ich, dass es – ganz unabhängig davon, wohin die Reise gehen sollte – eine gute Entscheidung war, vielleicht sogar die beste meines bisherigen Lebens.
YFU, das steht für Youth for Understanding und der Name erklärt sich im Grunde selbst. YFU ist eine gemeinnützige Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, der Völkerverständigung zu dienen und zu diesem Zweck jedes Jahr tausende von Schülern in über 40 Länder schickt. Die Schüler verleben in einem Land ihrer Wahl ein Jahr in einer Gastfamilie, gehen dort zur Schule, sprechen die jeweilige Sprache und lernen die Kultur des Landes kennen. Ein Jahr ein völlig anders Leben zu leben, das war es, was mich besonders gereizt hat. Und zum Glück hatte YFU auch Interesse daran mich als Völkerverständigerin für ein Jahr in die USA zu schicken.
Nach ausreichender Vorbereitung durch meine Organisation saß ich Mitte August des Jahres 2011 dann auch tatsächlich im Flugzeug. Ziel: Detroit. Genauer gesagt Walled Lake, eine kleine, beschauliche Stadt, etwa 45 Minuten von Detroit entfernt. Mit meiner Gastfamilie hatte ich vorher schon Kontakt aufgenommen und so kannte ich meine Eltern und meine Schwester schon ein bisschen, als sie mich vom Flughafen abholten. Mit ihnen habe ich mich von Anfang an gut verstanden. Wir haben ein wirklich gutes Verhältnis über das Jahr hinweg aufgebaut, haben viel miteinander unternommen und viel Spaß zusammen gehabt. YFU war über das Jahr hinweg auch immer für mich da. Zusammen mit anderen Austauschschülern habe ich Mackinac Island und Chicago besucht. Außerdem hat jeder Austauschschüler einen AreaRep, einen Betreuer vor Ort. Meine Betreuerin Karen und ich haben fast jeden Monat etwas zusammen unternommen, dadurch habe ich viele YFUler kennen gelernt.
Auch in der Schule habe ich schnell Anschluss gefunden. Neben normalen Fächern wie Mathe und Englisch bietet die amerikanische High School unter anderem auch Orchester, Schauspiel, Fotographie und so ausgefallene Dinge wie Friseurtätigkeiten oder „Ãœberleben in der Wildnis“ an. Schnell stellte sich auch heraus, dass ich trotz meiner Sprachdefizite zu den besten Schülern im Kurs gehörte. Die High School ist sehr leicht, sehr langsam und größtenteils auch sehr langweilig. Deswegen bewarb ich mich im September beim School Play, der Theatergruppe meiner Schule. Zu meiner eigenen Ãœberraschung gab meine Lehrerin mir auch gleich eine der Hauptrollen. Zwar hatte ich in Deutschland schon ein wenig Theatererfahrung gesammelt. Die stellte sich allerdings recht schnell als wenig hilfreich heraus, als ich sah, welche Standards hier herrschten. Neben fast täglichen Proben mussten wir außerdem an Kostümen und Requisiten arbeiten – die Bühnenbilder und Szenerien bauten andere Schüler für uns. Wir mussten unsere Texte in kürzester Zeit auswendig können und sekundenschnell auf neue Regieanweisung unserer Lehrerin reagieren. Schauspielerisch kam ich gerade so mit den anderen mit, mal ganz davon zu schweigen, dass mir mein Englisch hier zum ersten Mal Schwierigkeiten bereitete. Auch wenn ich mich inzwischen flüssig unterhalten konnte, war meine Aussprache doch noch nicht gut genug für die Bühne. Deshalb setzte meine Lehrerin weitere Proben für mich an, um mit mir an meinen Problemwörtern zu arbeiten. Dass so viel von mir erwartet wurde, hat sich am Ende ausgezahlt. Nicht nur habe ich mein Englisch und mein Schauspiel verbessern können, sondern nebenbei auch noch viel über das Theater an sich gelernt. Alle waren sehr geduldig mit mir und haben versucht mir zu helfen, wo sie nur konnten. Durch das School Play habe ich viele meiner späteren amerikanischen Freunde kennen gelernt.
Nachdem wir die Aufführungen gut hinter uns gebracht hatten, stand auch schon Weihnachten vor der Tür und die Wochen davor verbrachte ich hauptsächlich damit, das optimale Geschenk für jeden in meiner Familie zu finden. Ich wusste zwar, dass sie nichts von mir erwarteten und ich mich völlig unnötig unter Druck setzte, aber mein Geschenk sollte ihnen zeigen, wie dankbar und glücklich ich war. Am Ende hatte ich alles beisammen und sogar Weihnachtskarten für meine Lehrer gebastelt. Es wurde ein sehr schönes Fest. Wie immer gingen wir in die Kirche (die mit E-Gitarre und Lichteffekten ganz anders ist, als die deutsche) und dann feierten wir mit der ganzen Familie. Meine drei älteren Geschwister, die schon alle ausgezogen sind, kamen vorbei und brachten ihre Familien mit. Kurz darauf traf ich mich mit meinen Freunden um Silvester zu feiern und sah zum ersten Mal live, wie der New Year’s Eve Ball auf dem Times Square das neue Jahr ankündigte.
Bevor mich die Langeweile nach den Ferien wieder packen konnte, bewarb ich mich vorsichtshalber beim Musical, obwohl ich zu dem Zeitpunkt weder singen noch tanzen konnte. Natürlich bekam ich keine Hauptrolle, was allerdings auch vollkommen in Ordnung war, denn so hatte ich Zeit neben meiner eigenen Rolle auch viele der Backstage Arbeiten zu übernehmen. Zusammen mit Freunden organisierte ich die Requisiten, baute die Maske und verschiedene weitere Räume auf und half auch nach 5 Stunden Probe noch beim Bühnenaufbau. Es waren die besten vier Monate meines Lebens! Außer meiner Arbeit für das Musical hatte ich kaum noch Zeit für Essen, Schlafen und Schule. Oft kam ich erst nach 22 Uhr nach Hause, doch da mir die Schule immer noch keine Schwierigkeiten bereitete, hatte ich keine Probleme meine guten Noten zu halten. Vier Monate lang lebten wir alle in unserer eigenen Welt des „Music Man’s“. Unsere Aufführungen waren hoch professionell und zeigten, dass sich das viele Arbeiten gelohnt hatte. Was ich dort gelernt habe, nicht nur im künstlerischen Bereich, sondern auch über Arbeitsverhalten und Lebenseinstellung wird mich immer prägen. Ich bin meinen Lehrern, meinen Freunden und meiner Familie sehr dankbar, dass ich diese Zeit erleben durfte.
Kaum war das Musical vorbei blieben mir auch nur noch zwei Monate in Michigan und die verlebte ich hauptsächlich mit meiner Familie und meinen Freunden. Wir waren viel zusammen, ganz gleich ob wir einfach nur ein Eis essen gingen oder Geburtstage zusammen feierten. Ende Mai stand dann auch der Prom, der Abschlusstanz der Seniors, vor der Tür und natürlich gingen meine Freunde und ich hin. Es war ein wirklich schöner Abend. Fast so schön wie meine Abschiedsparty ein paar Wochen später, die meine Mom und meine Schwester für mich vorbereitet hatten. Und plötzlich hieß es Abschied nehmen, von meiner Schule, meinen Freunden und vor allem von meiner Familie. Es fiel uns nicht leicht, aber wir waren sehr dankbar für die Zeit, die wir zusammen erleben durften. Am 25. Juni saß ich dann auch wieder im Flugzeug, dieses mal zurück nach Deutschland und kaum sah ich Frankfurt unter mir, da freute ich mich auch wieder auf mein deutsches Leben.
Aber das Auslandsjahr hört nicht auf, sobald man wieder deutschen Boden unter den Füßen hat. Mit meiner amerikanischen Familie und mit meinen Freunden stehe ich natürlich immer noch in Kontakt und freue mich schon auf den Tag, an dem ich sie wieder sehen werde. Auch die Interessen, die ich in Michigan entdeckt bzw. vertieft habe, werde ich hier in Deutschland weiterverfolgen. Und nicht zuletzt bin ich mittlerweile auch ehrenamtliche Mitarbeiterin bei YFU und betreue nun selber Schüler, die ins Ausland gehen. Ein Auslandsjahr ist eine einmalige Erfahrung, die alle Mühen wert ist. Denn was man am Ende erhält, ist unvergleichlich und kann auf keine andere Art erlebt werden.
Wo man hingeht, das spielt im Endeffekt keine Rolle. Jeder, der es sich zutraut für ein Jahr ins Ausland zu gehen, sollte diese Chance unbedingt nutzen. Ein Auslandsjahr verspricht eine ungeheure, unvergleichliche Lebenserfahrung und Familie und Freunde auf der ganzen Welt.
Für Fragen und Informationen stehe ich selbstverständlich gerne zur Verfügung. Bitte nehmt über die Redaktion der Schülerzeitung Kontakt zu mir auf oder schreibt mir eine E-Mail an: mrakuepper@t-online.de
von Maren Küpper